Sind (unbeschränkte) Vertragsanpassungsklauseln in AGB unwirksam?
Nutzen Sie AGB? Enthalten Ihre AGB eine Vertragsanpassungsklausel? Dann betrifft eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs über unbeschränkte Vertragsanpassungsklauseln in AGB wahrscheinlich auch Sie. In diesem Beitrag erfahren Sie, ob und welche Auswirkungen das Urteil auch auf Sie hat.
Worum geht es?
AGB sind für eine Vielzahl von Fällen verwendete, individuelle „Grundregeln“, die von Unternehmern einer überwiegenden Mehrheit von Verträgen zugrunde gelegt werden. Im Falle der Fälle sollen die AGB dafür sorgen, dass die Vertragsmodalitäten zwischen den Parteien geregelt sind und die Parteien nicht im Regen stehen. Daher sollten AGB stets rechtlich korrekt formuliert sein und möglichst keine unwirksamen Regelungen enthalten.
In diesem Blog-Beitrag hatten wir bereits berichtet, dass Vertragsanpassungsklauseln ein geeigneter Weg sind, um AGB-Änderungen auch im Verhältnis zu Bestandskunden wirksam werden zu lassen. Der BGH hat kürzlich ein etwas überraschendes Urteil gesprochen, das dieser bisher weit verbreiteten AGB-Praxis den Riegel vorschiebt und wohl auch für den Rechtsverkehr zwischen Unternehmern gilt (vgl. BGH, 27.04.2021 – XI ZR 26/20). Das oberste Gericht folgt damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom November 2020, wonach stillschweigende Vertragsänderungen unwirksam sind, wenn diese soweit gehen, dass sie dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen (vgl. EuGH, 11.11.2020 – C-287/19). Hinter diesem vermeintlichen Verbraucherschutzurteil verstecken sich spannende neue Rechtsansichten, die für den gesamten Rechtsverkehr Bedeutung haben.
Vertragsanpassungsklauseln sind in AGB weit verbreitet und waren bisher unbeschränkt wirksam
Das BGH Urteil vom 27. April 2021 betrifft AGB-Regelungen einer Bank, die die Möglichkeit zur gewissermaßen „stillschweigenden“ Vertragsänderung vorsehen (vgl. BGH, 27.04.2021 – XI ZR 26/20). Hierdurch wird es zu einer Änderung im AGB-Recht kommen, die für Anwender von AGB und Juristen gleichermaßen unerwartet war, da sie einer bisher weit verbreiteten Praxis eine Absage erteilt und wohl eine überwiegende Mehrheit von AGB-Anwendern betrifft.
Zwar handelt es sich dabei in erster Linie um ein Verbraucherschutzurteil. Durch allgemeingültige Aussagen, die das Gericht aber im Urteil getroffen hat, betrifft es auch Unternehmer mit B2B-Geschäft und kann insoweit als Grundsatzurteil betrachtet werden.
Knackpunkt des Urteils ist dabei die folgende Ausgangslage:
Nach bisheriger Rechtslage und Geschäftspraxis war es weit verbreitete Praxis, eine Vertragsänderungsklausel in AGB mit aufzunehmen, die die Anpassung des Vertrags in weitem Umfang ermöglichte. Dazu wurde geregelt, dass Vertragsänderungen den KundInnen mit ausreichender Vorlaufzeit zum Inkrafttreten der Änderungen (meistens zwei Monate) mitgeteilt werden sollen. Die KundInnen hatten dann innerhalb des festgelegten Zeitraums die Möglichkeit, den Vertragsänderungen zu widersprechen, oder den Vertrag zu kündigen. KundInnen die auf diese Mitteilung untätig blieben, wurde dann die Zustimmung zur Vertragsänderung unterstellt, bzw. auf juristendeutsch, „fingiert“, die Zustimmung galt also rechtlich als erteilt.
Die neue Rechtslage nach dem BGH-Urteil
Diese Praxis wird künftig (jedenfalls bei Verbrauchergeschäften, vermutlich aber auch im B2B-Rechtsverkehr) nicht mehr möglich sein. Unternehmen müssen nun in der Folge ihre AGB-Vertragsänderungsklauseln für Verbrauchergeschäfte ändern und wir empfehlen auch im B2B-Geschäft, diese Änderungen der AGB vorzunehmen.
Durch das neue BGH-Urteil dürfen in AGB keine weitreichenden Möglichkeiten zur Vertragsänderung oder -anpassung mehr vereinbart werden. Nach Ansicht des obersten Gerichts benachteiligen solche Klauseln nämlich den Vertragspartner unangemessen.
Das Schweigen des Vertragspartners als Zustimmung zu werten, widerspreche danach den wesentlichen Grundgedanken des Vertragsrechts, wenn hierdurch deutliche und weitreichende Vertragsänderungen umgesetzt würden.
In der bisherigen Praxis wurden solche Vertragsanpassungsklauseln nicht inhaltlich auf bestimmte Änderungen beschränkt und es war sogar möglich, die von KundInnen geschuldete Hauptleistung zu verändern. Dadurch sieht das Gericht aber die „dicken Fische“ zu sehr im unfairen Vorteil: Diese würden sich dadurch vorbehalten, Verträge grundlegend umzugestalten und so das Grundgefüge des Vertrags quasi ohne Notwendigkeit einer vorherigen Einwilligung des Vertragspartners einseitig zu verändern. Für solche grundlegenden Änderungen ist nach Ansicht des Gerichts aber ein Änderungsvertrag notwendig und einer stillschweigenden Zustimmung wird klar eine Absage erteilt, da die Änderungen ihrem Umfang nach fast dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen.
Auswirkungen auch für den B2B-Verkehr
Zwar bezog sich das Urteil auf die spezielle Konstellation von Bankgeschäften mit Verbrauchern und ist somit in Teilen verbraucherspezifisch. Die Unwirksamkeit der AGB-Klausel wird dabei vor allem auch vor dem Hintergrund einer Sondervorschrift für Zahlungsdienste (§675g BGB) beurteilt.
Andere Teile der Urteilsbegründung sind aber wohl als allgemein gültige Rechtsauffassung des Gerichts einzuordnen und gelten daher ganz allgemein im Rechtsverkehr, also auch für Rechtsbeziehungen zwischen Unternehmern. Die Argumentation des Gerichts zur Unangemessenheit der Vertragsanpassungsklauseln wird ausschließlich auf dem Boden des allgemeinen AGB-Rechts geführt und hat daher ganz allgemeingültige Wirkung.
Ob das Urteil tatsächlich auch im B2B-Verkehr von solcher Relevanz sein wird, dass auch dort uneingeschränkte Vertragsanpassungsklauseln nicht mehr wirksam sein werden, ist unklar und bleibt abzuwarten. Sich weiterhin auf die Wirksamkeit solcher Vertragsanpassungsklauseln zu verlassen, erscheint aber unsicher und wir empfehlen dies nicht. Insbesondere, da künftig wohl auch mit Gegenwind von Vertragspartnern zu rechnen ist, gegenüber denen solche Klauseln verwendet werden sollen.
Konsequenzen für Nutzer von Vertragsanpassungsklauseln in AGB
Falls Sie also in Ihren AGB Vertragsanpassungsklauseln verwenden, prüfen Sie diese einmal kritisch auf Ihren Inhalt. Behalten sie unbegrenzte oder nicht genauer definierte Vertragsänderungen, ohne dass ihr Vertragspartner konkret zustimmen müsste (wird also die Zustimmung zur Vertragsänderung in Ihren AGB „fingiert“), sollten Sie den AGB-Text anpassen.
Wir empfehlen Ihnen dazu, die Formulierung so zu wählen, dass der BGH die unangemessene Benachteiligung nicht mehr sieht:
- Erstens sollten Sie die Möglichkeit zur Vertragsänderung inhaltlich beschränken auf Vertragsänderungen, die nicht die Hauptleistungspflichten des Vertrags betreffen.
- Zweitens sollten sie klar regeln, dass für solche Vertragsänderungen, die eine Änderung der Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien betreffen, der Abschluss eines Änderungsvertrag notwendig ist. Oder zumindest aber, dass eine ausdrückliche Einwilligung des Vertragspartners zu einer solchen Vertragsänderung erforderlich ist und die Einwilligung nicht als erteilt gilt, wenn der Geschäftspartner auf die Mitteilung hin schweigt.
- Und drittens wird mittlerweile häufig die Ansicht vertreten, dass Urlausabwesenheiten bis zu sechs Wochen nicht ungewöhnlich sind, weshalb die Ankündigungsfrist für die Änderungen der AGB von überwiegend festgelegten vier Wochen auf eine Frist von sechs Wochen erhöht werden sollte. Dies gibt dem Vertragspartner angemessen Zeit, auf die angekündigte Vertragsänderung zu reagieren und gegebenenfalls entsprechende Rechte auszuüben.
Sofern nur Nebenpflichten betroffen sind, wird wohl insbesondere im B2B-Geschäft weiterhin möglich bleiben, Vertragsänderungen, wie bisher praktiziert, dem Kunden anzukündigen und ihm Kündigungs- und Widerspruchsmöglichkeiten einzuräumen und auf Schweigen hin die Zustimmung als erteilt zu betrachten.
AGB-Änderungen im laufenden Vertrag gestalten sich in der Praxis oft schwierig. In unserem E-Book zeigen wir Ihnen an einem Formulierungsbeispiel, wie AGB-Änderungen in der Praxis wirksam vereinbart werden – für reibungslose AGB-Änderungen jetzt und in Zukunft:
Formulierungsbeispiel für eine Vertragsanpassungsklausel in AGB:
„Der Verwender behält sich das Recht vor, diese AGB jederzeit zu ändern. Der Kunde wird sechs Wochen vor Inkrafttreten der Änderungen per E-Mail über die Änderungen informiert. In dieser E-Mail bekommt der Kunde die neuen AGB zugesandt. Er ist berechtigt, der Geltung der neuen AGB innerhalb von vier Wochen nach Zugang dieser E-Mail zu widersprechen. Unterlässt der Kunde einen Widerspruch, werden die geänderten AGB nach Ablauf der vierwöchigen Frist Vertragsbestandteil. Auf diese Frist wird der Anbieter den Kunden im Rahmen der Änderungsmitteilung ausdrücklich hinweisen.
Ausgeschlossen vom Recht zur Änderung dieser AGB nach dem vorigen Absatz sind Regelungen, welche die Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien betreffen und die somit das Verhältnis zwischen Haupt- und Gegenleistungspflichten maßgeblich verändern, sowie sonstige grundlegende Änderungen der vertraglichen Pflichten, die dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen. Für solche Änderungen ist eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung erforderlich.“
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Falls Sie nicht sicher sind, ob Sie von der Änderung betroffen sind, falls Sie nicht selbst das rechtlich wasserdichte Umformulieren der AGB-Regelungen übernehmen möchten, oder anderweitig dabei Hilfe brauchen, sich im Dickicht der AGB-Regelungen zurechtzufinden, sind wir Ihnen dabei selbstverständlich gern behilflich.
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Ihre Ansprechperson
Dr. Jochen Notholt
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