Regelungen zur Freistellung bei Verletzung von Rechten Dritter in IT-Verträgen – was soll das?
Der folgende Beitrag von Florian Außem, Jurastudent aus Köln, ist der Siegerbeitrag des 1. comp/lex Blog-Wettbewerbs (September 2019). Wir haben ihn in Abstimmung mit dem Autor an manchen Stellen redaktionell bearbeitet.
Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist das Thema Rechtsmängelhaftung, d.h. die Verantwortlichkeit für die Verletzung von Rechten Dritter durch urheberrechtlich geschützte Wirtschaftsgüter wie z.B. Software, kaum geregelt. Kunden und Anbieter regeln dieses Thema daher über die Vertragsgestaltung, vor allem in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Dieser Beitrag soll Ihnen einen Einblick in diese Materie verschaffen.
Vereinbarungen zur Freistellung und Haftung, wozu braucht man die?
Wozu braucht man überhaupt Freistellungsvereinbarungen und Haftungsregelungen? Dazu folgende Beispiele:
Beispiel 1: Das Softwarehaus IT-Bude24 lässt Standardsoftware durch mehrere Händler vertreiben, denen es die AGB vorgibt, welche die Händler mit ihren Kunden zu vereinbaren haben. Nach diesen AGB sollen die Händler den Kunden aufgeben, die Software nur auf Hardware eines bestimmten Herstellers zu betreiben; eine andere Vertriebsbefugnis haben die Händler nicht. Ein Händler verkauft mit entsprechenden AGB ein Exemplar der Software an einen Käufer. Der Käufer betreibt die Software auf Hardware eines anderen Herstellers. Das Softwarehaus schickt ihm eine Aufforderung, dies zu unterlassen.
Beispiel 2: Der Angestellte Anton Alpha ist bei der kleinen Small Software GmbH angestellt und verdient dort wenig. Dieses Softwarehaus überlässt die von Alpha entwickelte Standardsoftware mit allen Rechten preisgünstig an die große Big Software AG, die damit ein großes Geschäft macht. Alpha verlangt nach § 32a Abs. 2 UrhG berechtigt von Big Software eine Zusatzvergütung. Big Software möchte bei Small Software Regress nehmen.
Beispiel 3: Der pazifistische Friedemann Codestein erstellt bei dem im Umweltschutzbereich tätigen Softwarehaus Software, mit der unbemannte Segelflugzeuge ferngesteuert werden können. Der Inhaber Erich Einsam des Softwarehauses verkauft das Unternehmen an den Rüstungskonzern Waffenexpress. Codestein erfährt, dass Waffenexpress die Software militärisch nutzen will und ruft das Nutzungsrecht erfolgreich nach § 34 Abs. 3 Satz 2 UrhG zurück.
Anhand dieser Beispiele lässt sich bereits erkennen, dass das Verhältnis zwischen Kunde und Anbieter gestört werden kann, wenn Dritte Ansprüche geltend machen. Genau in diesen Fällen kommen Freistellungsvereinbarungen und Haftungsregelungen zum Einsatz.
Was bedeutet „Freistellung“?
Wenn man nach dem Begriff der „Freistellung“ online recherchiert, findet man gar nicht so viele passende Erklärungen, vor allem nicht im Zusammenhang mit der Rechtsmängelhaftung. Vor allem Gerichtsentscheidungen gibt es zu diesem Thema kaum. Immerhin hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) vor einigen Jahren zu diesem Thema geäußert: Er legte recht eindeutig fest, dass der freizustellende Kunde (Freistellungsgläubiger) nach dem Sinn der Freistellung nicht mehr Gefahr laufen soll, entweder eine unbegründete Forderung zu erfüllen oder sich wegen einer begründeten Forderung mit einer Klage überziehen lassen zu müssen. Der Kunde soll also kein Risiko einer Inanspruchnahme durch Dritte mehr tragen und nicht mehr der Gefahr ausgesetzt sein, wegen einer begründeten Forderung verklagt zu werden oder eine unbegründete Forderung zu erfüllen und sich dies als eigenes Fehlverhalten entgegenhalten lassen zu müssen.
Kurzum: Der Anbieter/Lieferant (Freistellungsschuldner) ist verpflichtet, einem Rechtsstreit beizutreten und die Ansprüche gegen den Kunden abzuwehren. Dies kann – so der BGH – durch jede Maßnahme erfolgen, die den Kunden von der Verbindlichkeit gegenüber dem Dritten befreit bzw. ihn vor einer Inanspruchnahme schützt.
Was passiert, wenn der Anbieter nichts unternimmt?
Im Fall der Verletzung von Rechten Dritter liegt ein praktisches Problem regelmäßig darin, dass der in Anspruch genommene Kunde über den Sachverhalt der Rechtsverletzung überhaupt nichts weiß und im Rechtsstreit hierzu nichts sagen kann. Dies kann aber der Anbieter häufig umso besser.
Auch deshalb muss der Anbieter zumindest Verhandlungen mit dem Dritten über den Bestand und die Höhe der gegen den Kunden geltend gemachten Forderung aufnehmen und sich – bei einer gerichtlichen Inanspruchnahme – am Rechtsstreit beteiligen und dem Kunden die Auseinandersetzung „inhaltlich abnehmen“. Tut er dies nicht, macht er sich nach allgemeinen Schadensregeln wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung schadensersatzpflichtig. Dies aber natürlich nur dann, wenn der Kunde ihn über die Inanspruchnahme durch den Dritten informiert und ihm sämtliche das Rechtsverhältnis betreffende Informationen zur Verfügung stellt.
Wie wird die Freistellung vertraglich geregelt?
Freistellungsvereinbarungen werden in der Regel über die Vertragsgestaltung – also in AGB oder Musterverträgen – eingearbeitet. Hierbei sollte man möglichst genau formulieren, unter welchen Voraussetzungen der Vertragspartner für welche Fälle einstehen muss.
Geregelt werden sollte vor allem:
- der Umfang der Freistellung,
- welche Lieferungen und Leistungen der Freistellungspflicht unterliegen,
- welche Schutzrechte der Freistellungspflicht unterliegen,
- die geografische Abgrenzung,
- die zeitliche Abgrenzung (Verjährung),
- der Umfang der in den Schutz einbezogenen Personen (Mitarbeiter, verbundene Unternehmen, Geschäftsführung),
- die Beschränkung auf Ansprüche Dritter,
- weitere Voraussetzungen der Freistellung,
- der Verteidigungsprozess und Kontrolle,
- ob die Unterstützung durch den Freizustellenden notwendig und ggf. zu vergüten ist und
- dass keine Anerkennung von Ansprüchen Dritter ohne Abstimmung erfolgen darf.
Der Kunde wünscht sich meist eine möglichst umfassende Freistellung, die das Risiko von Ansprüchen Dritter möglichst vollständig auf die Seite des Anbieters verlagert. Der Anbieter ist hingegen daran interessiert, den Umfang der Freistellungspflichten möglichst stark einzuschränken.
Auch die geografische Abgrenzung ist für den Anbieter ein wichtiger Punkt. So hat er meist nicht die Möglichkeit, mögliche Schutzrechtsverletzungen in allen Ländern weltweit zu prüfen und abzuschätzen.
Der Kunde wird ein Interesse daran haben, dem Anbieter die Rechtsverteidigung inhaltlich zu überlassen, da dieser dazu am besten in der Lage ist. Dieser ist jedoch auf die Kooperation des Kunden angewiesen und muss diese sicherstellen.
Wie kann eine Freistellungsvereinbarung in der Praxis aussehen?
Hier ein Beispiel für eine marktübliche Regelung zur Freistellung bei der Verletzung von Rechten Dritter:
Macht ein Dritter gegenüber dem Kunden Ansprüche geltend, die auf der Verletzung seiner Schutzrechte durch die Nutzung der gelieferten Arbeitsergebnisse oder sonstiger Leistungen des Anbieters beruhen, und ist der Anbieter zur Beseitigung dieses Rechtsmangels im Rahmen der Gewährleistung verpflichtet, wird der Anbieter den Kunden darüber hinaus wie folgt gegen die Ansprüche des Dritten verteidigen und von diesen im Rahmen der vereinbarten Haftungsbegrenzung freistellen:
Der Anbieter übernimmt auf eigene Kosten die Rechtsverteidigung gegen solche Ansprüche Dritter. Er erstattet dem Kunden die Aufwendungen, die dem Kunden aufgrund eines rechtwirksamen Urteils entstehen.
Voraussetzungen für die Ansprüche des Kunden gegen den Anbieter sind, dass
- der Kunde den Anbieter unverzüglich über die Geltendmachung des entsprechenden Anspruchs durch den Dritten verständigt und
- der Kunde dem Anbieter die alleinige Rechtsverteidigung gegen diese Ansprüche überlassen hat. Soweit der Kunde dem Anbieter die Rechtsverteidigung nicht vollständig übertragen kann, hat er ihm stattdessen die Kontrolle hierüber einzuräumen und im Rahmen der Rechtsverteidigung oder bei Vergleichsverhandlungen nur und stets im Einvernehmen mit dem Anbieter zu agieren.
Der Kunde wird den Anbieter bei der Vorbereitung und Durchführung der Rechtsverteidigung bzw. Vergleichsverhandlung in angemessenem Umfang unterstützen.
Rechte in diesem Sinne sind nur solche, die dem Dritten in der Bundesrepublik Deutschland zustehen.
Die Verjährung des Freistellungsanspruchs entspricht der Verjährung der Rechtsmängelgewährleistungsansprüche des Kunden.
Was bedeutet „Haftung“ im Verhältnis zur „Freistellung“?
Anders als bei der Freistellung geht es bei der Haftung ganz allgemein um die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien und um die Frage, welche Partei welches Risiko tragen und für welches Risiko vorsorgen muss. Der Anbieter übernimmt das Risiko, dass die vertragliche Leistung vertragsgemäß erbracht wird und muss dies in die Berechnung der Vergütung einnehmen. Hierbei sollte jedoch eine Begrenzung des Haftungsrisikos vereinbart werden – auch dies ist in AGB durchaus zulässig. (Mehr zum Thema Haftung und Haftungsbegrenzung erfahren Sie an anderer Stelle z.B. hier im comp/lex Blog.)
Und was bedeutet „Indemnification“?
In anglo-amerikanischen IT-Verträgen ist viel häufiger von „Indemnification“ („Freistellung“) die Rede als in deutschen IT-Verträgen. Indemnification wird dort eher allgemein als „Entschädigung“ verstanden. Dabei unterscheiden die Amerikaner in „versicherungsähnlichen Entschädigungen“ (insurance-like indemnities) und „Ent-schädigungen bei Verstößen“ (indemnities on breach).
Bei den versicherungsähnlichen Entschädigungen handelt es sich um vertragliche Freistellungen, die die Deckung von Verlusten aus einem bestimmten Ereignis betreffen, wenn das Eintreten des Ereignisses selbst keine Vertragsverletzung darstellt. „Wenn x eintritt, werde ich Sie für die entstandenen Verluste entschädigen.“ Dies ist zum Beispiel für Fälle denkbar, in denen sich in einem kundenfreundlichen Hosting-Vertrag der Anbieter verpflichtet, den Kunden für den Fall eines Ausfalls zu entschädigen, der von einem vom Anbieter beauftragten Drittdienstleister verursacht wurde, obwohl der Ausfall selbst (nach anglo-amerikanischen Recht) keine Vertragsverletzung darstellen würde.
Bei den Entschädigungen bei Verstößen geht es um die Höhe der Entschädigung, die im Falle einer Vertragsverletzung gezahlt werden. Eine Art von Vertragsverletzung ist hier z.B. der Verstoß gegen die Verpflichtung, Informationen vertraulich zu behandeln. Solche Verstöße können insbesondere für Technologieunternehmen sehr schwerwiegend sein und möglicherweise Schäden verursachen, die weit über den Wert eines Auftrags hinausgehen.
Bei der „Indemnification“ geht es also um die Entschädigung und Zahlung einer Geldleistung und entspricht in seiner Bedeutung eher dem deutschen Begriff der „Haftung“. Dagegen geht es bei der deutschen „Freistellung“ eher darum, den Freizustellenden gegen (un-)begründete Ansprüche Dritter und möglicher daraus resultierender Klagen zu schützen.
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Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel wurde erstmals am 8. Oktober 2019 veröffentlicht und zuletzt am 13. Juni 2020 inhaltlich überarbeitet.
Ihre Ansprechperson
Dr. Jochen Notholt
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