Schutzlandprinzip und Internet

In unserem ersten Beitrag zum Thema Schutzlandprinzip ging es um die Frage, welches Urheberrecht anwendbar ist, wenn jemand in einem anderen Land Ihre Software raubkopiert und sie auf selbstgebrannten CDs auf dem lokalen Schwarzmarkt anbietet. Nun kommen wir zu den in der Praxis ungleich häufigeren Fällen der Urheberrechtsverletzungen im Internet. Mit welchem nationalen Urheberrecht kann und sollte man dagegen vorgehen?

Ein Fall wie viele andere

Unser deutscher Softwareanbieter erfährt also, dass dieselbe Bande, die schon zuvor seine Software gecrackt und auf dem St. Petersburger Schwarzmarkt angeboten hat, von ihrem Erfolg ganz berauscht diese nun über das Internet einem größeren Publikum zugänglich machen möchte. Dazu registriert die Bande eine .ru-Domain und erstellt eine russischsprachige Website, auf der sie die Software gegen ein im Vergleich zum Originalpreis geringes Entgelt anbietet. Der Preis ist in Rubel ausgewiesen. Bezahlt werden kann über Kreditkarte oder mittels eines E-Commerce-Dienstes wie PayPal.

Die Frage nach der Rechtsordnung

Es stellt sich wieder die Frage: Welches Urheberrecht kann und sollte hier angewandt werden? Das deutsche? Das russische? Beide? Das ist keine rein akademische Frage. Unserem Softwareanbieter steht z. B. nur nach deutschem Urheberrecht ein direkter Auskunftsanspruch gegen Drittanbieter wie PayPal zu (§ 101 UrhG), während nach russischem Recht Drittanbieter nur gegenüber Behörden und Gerichten zur Auskunft verpflichtet sind. Oft kann nur über diese Drittanbieter festgestellt werden, wer überhaupt hinter dem illegalen Angebot steckt, da Raubkopierer doch eher selten ihre echte Anschrift im Impressum ihrer Website angeben. Für unseren Softwareanbieter wäre es deshalb günstig, wenn er nach deutschem Urheberrecht selbst von PayPal Auskunft verlangen könnte, anstatt dafür extra die russischen Behörden einschalten zu müssen.

[Achtung: Es geht hier nicht um die prozessuale Frage, welches Gericht zuständig ist (sog. Gerichtsstand), sondern darum, nach welchem materiellen Recht der Fall zu entscheiden ist. Um den Unterschied deutlich zu machen: Es könnte z. B. sein, dass zwar ein deutsches Gericht zuständig ist, dieses aber zur Lösung des Falles russisches Urheberrecht anwendet.]

Entscheidung durch das Schutzlandprinzip

Wir erinnern uns, dass diese Frage grundsätzlich mit dem Schutzlandprinzip zu beantworten ist. Danach ist entscheidend, „für“ welches Land nach Schutz gesucht wird, was letztlich auf die Frage hinausläuft, in welchem Land die jeweilige Verletzungshandlung vorgenommen wurde. Das war in unserem ersten Beispielfall eindeutig Russland, weil die Software eben vor Ort in St. Petersburg verkauft wurde. Aber wie ist das bei Urheberrechtsverletzungen im Internet? In welchem Land werden die begangen? Oder noch grundlegender: Um welche Verletzungshandlung geht es hier überhaupt? In Frage kommen mindestens die folgenden drei Anknüpfungspunkte:

  1. Das Cracken bzw. Raubkopieren der Software, d. h. die urheberrechtswidrige Beschaffung.
  2. Der Upload der gecrackten Software auf den Piratenserver, was eine illegale Vervielfältigung darstellt.
  3. Das öffentliche Anbieten der gecrackten Software zum Download auf dem Piratenserver. Dadurch können Webseitenbesucher auf der ganzen Welt die Software illegal herunterladen.

An welchem Ort wurden diese Verletzungshandlungen begangen?

  1. Gecrackt oder illegal kopiert wurde die Software vermutlich in Russland. Das hilft unserem Softwareanbieter nicht weiter.
  2. Hinsichtlich des Uploads ist davon auszugehen, dass sich sowohl der Server als auch unser uploadender Raubkopierer in Russland befinden. Diese Handlungen wurden folglich ebenfalls in Russland begangen. Auch das hilft unserem Softwareanbieter leider nicht.
  3. Angeboten wird die Software aber auf der ganzen Welt. Jeder PC mit Internetzugang hat die Möglichkeit, auf die Website zuzugreifen und die Software illegal herunterzuladen. Heißt das, dass die Verletzungshandlung in jedem Land begangen wird? Das hätte zur Folge, dass sich unser Softwareanbieter nach Belieben dasjenige Land aussuchen könnte, das ihm den größten Urheberrechtsschutz bietet. Um ein solches Ausufern zu verhindern, hat die deutsche Rechtsprechung bestimmt, dass in Fällen mit Auslandsbezug die Abrufbarkeit im Inland allein nicht ausreichend ist, um einen Urheberrechtsverstoß zu bejahen – auch wenn in diesen Fällen deutsches Urheberrecht grundsätzlich anwendbar ist. In seinen (markenrechtlichen, aber auf das Urheberrecht übertragbaren) Entscheidungen „Hotel Maritime“ (Urteil vom 13. Oktober 2004, Az. I ZR 163/02) und „OSCAR“ (Urteil vom 8. März 2012, Az. I ZR 75/10) verlangt der Bundesgerichtshof deshalb, dass das Angebot darüber hinaus einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug (sog. „commercial effect“) aufweist. Um zu beurteilen, ob dieser vorliegt, ist eine Gesamtabwägung zwischen den kollidierenden Interessen vorzunehmen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß die inländischen wirtschaftlichen Interessen des Urheberrechtsinhabers beeinträchtigt werden und ob die Rechtsverletzung im Inland ausdrücklich intendiert ist oder nur als Begleiterscheinung in Kauf genommen wird. Weitere Faktoren, die dabei eine Rolle spielen können, finden sich in Artikel 3 der Joint Recommendation Concerning Provisions on the Protection of Marks, and Other Industrial Property Rights in Signs, on the Internet der WIPO. Wie würde diese Abwägung in unserem Beispiel ausfallen?

Wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug?

Folgende Punkte sprechen gegen einen wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug:

  • Das Angebot ist ausschließlich in russischer Sprache gehalten.
  • Es ist auf einer russischen Top-Level-Domain (.ru) gehostet.
  • Die Preise sind in Rubel ausgewiesen.
  • Es gibt keine Werbung für das Angebot in anderen Ländern, wie z. B. Deutschland.
  • Es gibt keine festen Beweise dafür, dass Deutsche das Angebot häufig oder überhaupt in Anspruch nehmen.

Folgende Punkte sprechen demgegenüber für einen wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug:

  • Die Piratenbande hat offensichtlich kein Recht an dem Programm, sondern nutzt fremdes geistiges Eigentum, um damit Geld zu verdienen. Sie verhält sich rein parasitär. Das ist ein wichtiger Unterschied zu der Situation in dem vom BGH entschiedenen Hotel Maritime-Fall, in dem sich zwei gleichermaßen berechtigte Markeninhaber (aus unterschiedlichen Ländern) gegenüberstanden.
  • Es schadet dem Ruf unseres Softwareanbieters, wenn gecrackte Versionen seiner Software in Umlauf gebracht werden, die möglicherweise fehlerhaft, veraltet oder mit Viren befallen sind.
  • Die Bande könnte durch einfache Maßnahmen (z. B. dem Sperren von IP-Ranges) verhindern, dass das Angebot von Deutschland aus erreichbar ist.
  • Gegen die erstgenannten drei Contra-Argumente (Angebot auf Russisch, .ru-Domain, Preise in Rubel) ist einzuwenden, dass dadurch der Kauf von Deutschland aus nicht verhindert wird. Auch in Deutschland gibt es Millionen Menschen, die Russisch sprechen oder Übersetzungstools nutzen können; die .ru-Domains ebenso wie .com-Domains besuchen und für die es aufgrund von E-Commerce-Unternehmen wie PayPal überhaupt keinen Unterschied macht, ob sie nun in Euro oder in Rubel bezahlen.
  • In dem Fall aus unserer Praxis, auf dem dieser Beispielfall basiert, handelte es sich bei der raubkopierten Software um ein sehr spezielles Programm, das (auch wegen unserer Arbeit) ansonsten kaum illegal erhältlich ist. In solchen Fällen ist zu vermuten, dass Deutsche durchaus auch fremdsprachige Angebote in Anspruch nehmen, um die Zahlung der Lizenzgebühr zu umgehen.
  • Dem Softwareanbieter entgehen durch das illegale Angebot daher vermutlich auch Gewinne deutscher Kunden.

Zu welchem Ergebnis würde ein Gericht in diesem Fall kommen? Das ist nicht ganz einfach einzuschätzen. Vermutlich würde es einen wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug aber eher verneinen. Entscheidend dürfte hier sein, dass es von Seiten der Bande kein einziges Anzeichen für eine bewusste Ausrichtung auf den deutschen Markt gibt. Die Erreichbarkeit des Angebots von Deutschland aus wird demgegenüber eher in Kauf genommen, aber nicht aktiv angestrebt.

Das Landgericht Hamburg hielt in einem Urteil vom 17.06.2016 (Az. 308 O 161/13) zur Verwendung urheberrechtsgeschützter Inhalte in einem kostenlosen Weblog unter anderem die Kriterien der Sprache, Bekanntheit im Inland und Ausrichtung auf dieses in Form von Lieferbedingungen oder Werbung für entscheidend. Die Möglichkeit der Nutzung von (sogar fest in die Website integrierten) Übersetzungstools bewertete es demgegenüber als irrelevant.

Was heißt das nun für unseren Softwareanbieter?

Das heißt, dass in diesem Fall ein Vorgehen gegen die Bande nach deutschem Urheberrecht wahrscheinlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Unser Softwareanbieter ist deshalb besser damit beraten, sich an eine Kanzlei in Russland zu wenden, die vor Ort gegen die Bande vorgeht. Wir arbeiten in diesen Fällen ebenfalls mit einer Partnerkanzlei in Russland zusammen. Wenn Ihr Unternehmen mit solchen oder ähnlichen Problemen konfrontiert ist, kommen Sie gerne auf uns zu.

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